Fahrerlose Transportsysteme
Produktionsoptimierung ist die technische und organisatorische Verbesserung der Produktionsabläufe mit dem Ziel der nachhaltigen Kennzahlenverbesserung.
Standardisierung für fahrerlose Transportsysteme | Vorbereitung der Prozesse
Diesmal im Interview: Denise Pohlig, Geschäftsführerin bei ifp consulting. Als Logistikexpertin beleuchtet sie das Thema des fahrerlosen Transportsystems und die Rolle der Digitalisierung in Produktion und Logistik. Außerdem diskutieren wir mit Frau Pohlig die Voraussetzungen für ein gut funktionierendes FTS.
Frau Pohlig, die Entwicklung im Bereich des autonomen Fahrens, der Kamerasysteme, des Mobilfunks und der GPS Technik lassen die Begehrlichkeiten zur Einführung von fahrerlosen Transportsystemen (FTS oder englisch AGVs) rasant steigen. Macht die Automatisierung auch bereits im Mittelstand Sinn?
Das muss man sicherlich differenziert betrachten. Auf der einen Seite stellen wir insbesondere im Umfeld der Produktion im Mittelstand aktuell fest, dass sich Unternehmen in dieser Situation zunehmend Gedanken über ihre Abhängigkeit von Personalverfügbarkeit machen sowie die Einsparungsmöglichkeiten und die sinkenden Kosten für das technische Equipment des FTS wahrnehmen. Auf der anderen Seite sind viele Unternehmen noch nicht soweit, denn gerade die Stabilität von vor- und nachgelagerten Prozessen, spielt neben der Standardisierung eine wichtige Rolle. Erfolgt diese Vorbereitung der Prozesse nicht, oder ist diese zu lückenhaft, dann werden die Potentiale der FTS und Automatisierung in der Logistik nicht vollständig genutzt und die oftmals hohe Erwartungshaltung der Mitarbeiter und des Managements kann nicht erfüllt werden.
Frau Pohlig, wie können Unternehmen an dem Fortschritt der Automatisierung bestmöglich partizipieren?
Wenn die Voraussetzungen nicht stimmen, sind die Optimierungspotentiale überschaubar. Deshalb ist es aus unserer Sicht wichtig, dass gewisse konzeptionelle Überlegungen vorher stattfinden. Zunächst kann das Unternehmen die Opportunitätskosten kalkulieren, auch um den Bedarf einer Automatisierung abzuwägen. Dabei erfassen wir für den Kunden die Prozesse des Materialtransports unter Berücksichtigung der Eigenschaften der zu transportierenden Materialien, wie zum Beispiel Gewicht und Abmessungen. Nicht jedes Material ist für einen Transport per FTS geeignet. Über einen entsprechenden Review gemeinsam mit dem Kunden entscheiden wir dann, welche Abteilungen ins Boot geholt werden müssen und schließlich auch, welche Art des FTS dabei in Frage kommt.
Wie wird die Entscheidung dabei für das richtige FTS getroffen – gibt es einen Kriterienkatalog oder werden die verschiedenen Hersteller in den Auswahlprozess miteinbezogen?
Beides ist möglich und wird in konsekutiv aufeinander folgenden Schritten bei der FTS-Planung berücksichtigt. Zunächst grenzen wir die in Frage kommenden FTS mittels des ifp-Kriterienkatalogs und über eine Analyse des Materialflusses sowie des Materialportfolios ein. Dabei untersuchen wir zum Beispiel, ob ein Paletten FTS oder ein FTS für Kleinladungsträger (KLTs) für den Kunden am besten geeignet ist und welche Leistungsanforderungen das FTS erfüllen sollte. Über die Materialflussanalyse wird die Transportintensität, das heißt die Anzahl und das Volumen der Transporte, bestimmt und die Anzahl der notwendigen Systeme daraus ermittelt. Zusätzlich zu den operativen Anforderungen an das FTS integrieren wir natürlich auch die informationstechnische Anbindung an das bestehende System in unsere Analyse. Dabei kontaktieren und integrieren wir dann normalerweise unterschiedliche Hersteller, um für unsere Kunden eine Komplettlösung planen zu können. Viele unserer Kunden bedenken zu Beginn des Projektes nicht, dass das Steuerungssystem und dessen Anbindung an das bestehende System bei der FTS-Planung nicht außer Acht gelassen werden sollte und einen erheblichen Teil der Kosten ausmacht.
Frau Pohlig, Sie sagten eingangs, dass die Vorbereitung der Prozesse das entscheidende Merkmal für eine erfolgreiche Einführung des fahrerlosen Transportsystem ist. Inwiefern?
Bei der Einführung eines FTS digitalisieren die Unternehmen einen Teil ihrer Logistikprozesse. Häufig ist das für den Betrieb der erste Kontaktpunkt zum Thema „Industrie 4.0“. Voraussetzung für eine Digitalisierung ist immer ein tiefes Prozessverständnis des ausführenden Projektteams, um die passende Lösung für das Unternehmen zu definieren, denn eine FTS-Lösung ist immer individuell.
In der Praxis erkennen wir, als ifp consulting, immer wieder, dass insbesondere im mittelständischen Bereich die Produktion im Fokus steht und logistische Prozesse nicht zur Kernkompetenz der Unternehmen gehören. Logistik ist hier häufig noch Mittel zum Zweck. Entsprechend gering ist der Standardisierungsgrad der logistischen Prozesse: Verantwortlichkeiten sind nicht klar geregelt, Transporte werden organisatorisch und nicht über das System gesteuert und es werden einige logistische Tätigkeiten auch vom Maschinenbediener durchgeführt. Dies führt dazu, dass meist keine umfassenden Prozessbeschreibungen existieren, die die Basis jeder Prozessautomatisierung sind. Neben der Prozessdefinition ist auch der Automatisierungsgrad der vor- und nachgelagerten Prozesse entscheidend. Ohne Automation bei der Lastübergabe zwischen Maschine und FTS ist weiterhin der Faktor Mensch notwendig, wodurch FTS Projekte an Komplexität gewinnen. Hier gilt es zunächst anhand eines SOLL-Prozesses den passenden Umfang der Lösung zu ermitteln.
Vielleicht könnten wir das noch etwas genauer fassen: Wo genau liegen jetzt die Einsparungspotentiale?
Wie eben schon gesagt, ist die Standardisierung und Verbesserung der Logistikprozesse im Rahmen der FTS Einführung der Treiber für operative Exzellenz und Standardisierung. Eine intensive Auseinandersetzung mit den operativen Unternehmensprozessen ist notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche Einführung eines FTS. Zudem werden Themen wie Standard Number of Parts und Automatisierungspotenziale durch das Projekt in den Fokus gerückt und so die Zukunftsfähigkeit des Produktionssystems automatisch hinterfragt.
Ziel einer FTS Einführung ist jedoch zunächst eine Reduzierung der Personalkosten. Diese sind insbesondere im Bereich der direkten Personalkosten zu erwarten. Gesondert zu bewerten ist ebenso die Unabhängigkeit von der Personalverfügbarkeit, die vor allem außerhalb der Ballungsgebiete für viele Unternehmen eine große Herausforderung darstellt. Auch Transportschäden innerhalb der Logistikkette lassen sich durch den präzisen Einsatz von FTS häufig reduzieren.
Wie schätzen Sie die Situation in Deutschland ein? Wird der Einsatz von fahrerlosen Transportsystemen in der nächsten Zeit zunehmen?
Davon sind wir überzeugt. Wir nehmen in der letzten Zeit ein deutlich erhöhtes Interesse unserer Kunden vor allem in mittelständischen Unternehmen wahr. Die Technik ist inzwischen entsprechend weit verbreitet und hat bereits eine hohe Akzeptanz in der Belegschaft. Dies sind gute Voraussetzungen, um FTS Lösungen als Automatisierungs- und Digitalisierungstreiber in den Unternehmen zu nutzen und die Potenziale zu heben. Dennoch sollte an dieser Stelle der umfassende Projektierungsaufwand genannt werden, der insbesondere bei gewachsenen Strukturen notwendig ist, um die erfolgreiche Implementierung von FTS Konzepten sicherzustellen.
Über Denise Pohlig
Denise Pohlig ist Geschäftsführerin bei ifp consulting.
Ihre Schwerpunkte liegen im Maschinen- und Anlagenbau, Elektronik- und Automobilindustrie, wo sie umfassende Expertise in den Bereichen Operative Exzellenz, Digitalisierung und Production Footprint vorzuweisen hat.